Das grönländische Eis ist der zweitgrößte gebundene Süßwasserspeicher der Erde. Schmilzt es ab, würde der Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen – mit gravierenden Folgen nicht nur für Küstengegenden rund um den Globus, sondern auch auf unser Wetter. So fern von uns die Insel liegen mag, so unmittelbar können uns also dortige Klimaeinflüsse treffen. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum sich Jakob Abermann mit den Vorgängen in der Arktis auseinandersetzt. „Neben dem bis zu 3300 Meter dicken kontinentalen Eisschild gibt es rund 20 000 davon abgekoppelte Gletscher in Küstennähe, die wesentlich weniger untersucht sind“, schildert der 37-jährige gebürtige Tiroler, der seit September 2018 an der Universität Graz die Laufbahnprofessur für Gebirgshydrologie und Glaziologie innehat. Davor hat er fünf Jahre lang direkt in Grönland gelebt und geforscht. Unter anderem initiierte er kontinuierliche Messungen auf einem kleinen Gebirgsgletscher an der Westküste. „Die Prozesse dort unterscheiden sich stark von denen am Eisschild auf gleicher geografischer Breite“, schildert er. Unter anderem herrsche durch die Nähe zum Meer eine höhere Luftfeuchtigkeit, folglich gebe es mehr Wolken, mehr Niederschlag und mehr Schnee, der das Eis im Sommer vor dem Abschmelzen schützt. „Mich interessiert ganz besonders das Zusammenspiel zwischen Gletscheroberfläche und Atmosphäre“, so Abermann. Seine Untersuchungen werden dazu verwendet, die höchst komplexen Zusammenhänge im Ökosystem besser zu verstehen.
Prozesse und Verbindungen
Mit dem Kreislauf von Klima, Eis und Wasser befasst sich der Forscher schon seit seiner Dissertation, in der er die Vergletscherung Österreichs unter die Lupe nahm, als PostDoc dann die äquatornahen Trockenregionen Chiles. „Es gibt viele kleine Stellschrauben, die die Verbindung zwischen Eis und Atmosphäre beeinflussen, auch solche, die man zuerst gar nicht vermuten würde“, erklärt der Meteorologe. Diese Prozesse und ihre sensiblen Zusammenhänge zu durchschauen, ist unabdingbar, um Klimamodelle präziser gestalten zu können. „Schmilzt beispielsweise das grönländische Eisschild, verändert das die Meerestemperatur und damit wiederum die atmosphärische Zirkulation über dem Nordatlantik, die das Wetter in Österreich mitbestimmt“, nennt Abermann ein Beispiel.
Um die weißen Flecken auf der wissenschaftlichen Landkarte – aber tunlichst nicht von den Satellitenbildern der Zukunft – zu beseitigen, möchte der Wissenschafter an der Universität Graz die Arktisforschung erweitern. Im Rahmen eines kürzlich genehmigten Forschungsprojekts wird er diesen Sommer mit Drohnen Messdaten von Temperatur und Luftfeuchtigkeit direkt über einer grönländischen Gletscheroberfläche sammeln und auswerten.
Geokolloquium
Einen Einblick in seine Forschungen bietet Jakob Abermann am 16. Mai um 18 Uhr im Hörsaal 11.03 (Heinrichstraße 36, 8010 Graz) bei einem Geokolloquium zum Thema „Gletscher, Schnee und Klima in Grönland abseits des Inlandeises“. Der Eintritt ist frei.